Kat Morris
Die Frage danach, weshalb so viele deutschsprachige Lesende eher zum englischsprachigen Roman greifen als zum deutschsprachigen flittert immer mal wieder durch Social Media, Online-Buch-Communities und den Feuilleton. Die möglichen Erklärungen sind mannigfaltig: Bestimmt liegt es daran, dass englischsprachige Taschenbücher und eBooks günstiger sind! Nein, es muss daran liegen, dass die Lesenden sich selbst damit profilieren wollen, dass sie im Original lesen! Wieder andere stellen die in meinen Augen sehr gewagte und fast schon patronisierende These auf, dass deutschsprachige Lesende einfach nicht gut genug Englisch können um zu bemerken, dass englischsprachige Bücher gar nicht „besser“ erzählt sind als deutschsprachige.
Als bilingual aufgewachsene Person, die schon seit Jahren eher englisch liest als deutsch, finde ich die letzte These beinahe etwas anmaßend. Über die Englischkenntnisse von Millennials und Gen Z möchte ich gar nicht urteilen, aber zu Bedenken geben, dass sie dank Originaltonspuren auf Streamingdiensten und vor allem durch tägliche Social-Media-Nutzung, die kolloquiales Verständnis und auch den Gebrauch von Englisch oft notwendig macht, oft recht gut sind. Für den Konsum von Unterhaltungsliteratur wird’s wohl auch ohne Fremdwörterbuch ausreichen. Der durch die Buchpreisbindung oft höhere Preis deutschsprachiger Bücher mag zum Phänomen beitragen, ebenso vielleicht der Wunsch sich selbst als weltgewandt darzustellen, indem man im englischsprachigen Original liest. Doch es gibt einen weiteren Grund, der für viele Lesende auf der Hand liegt, in der Diskussion aber kaum Beachtung findet.
Wir müssen ehrlich sein: Zwischen Literatur von englischsprachigen Buchmärkten und im Original deutschsprachiger Literatur gibt es ein großes Qualitätsgefälle. Dieses ist nicht nur auf handwerklicher Ebene, was Stil, Aufbau und Komplexität einzelner Romane angeht, nun seit einigen Jahren zu beobachten, sondern auch im großen Drumherum: In vielerlei Hinsicht ist der deutsche Buchmarkt viel zu vorsichtig Neues zu versuchen und wird von der kreativeren, komplexeren, und oft auch politischeren Literatur, die unter anderem aus den USA, Kanada, Großbritannien oder Irland kommt, regelrecht überrollt. Der deutsche Buchmarkt liebt besonders in der Unterhaltungsliteratur das sichere Trittbrettfahrerprinzip: Es wird gemacht, was schon immer funktioniert hat und sich gut verkauft. Im Gegensatz dazu sind die englischsprachigen Buchmärkte für Innovationen, Neues, Transgressives deutlich aufgeschlossener.
Allein ein Blick in zwei der seit einigen Jahren größten Trendgenres, New Adult und Romantasy, genügt, um diese Tendenz beobachten zu können: Die immer gleichen Plots, die immer gleichen Figuren-Archetypen in beinahe jeder Neuerscheinung der letzten fünf Jahre, die immer gleichen Harpers, Kadens, Ellas, Liams, Kayleighs und Damians. Auch vom US-Buchmarkt erreichen uns natürlich Romane dieser Art: Rebecca Yarros‘ Megahit „Fourth Wing“ (2023) ist das beste Beispiel und hat unter anderem mit „Burning Crown“ von Marie Niehoff (2024) direkt ein deutsches Pendant bekommen. Gegen diese Art von Romantasy und New Adult ist auch im Kern gar nicht viel einzuwenden – Was der US-Markt jedoch hat und was in Deutschland entschieden fehlt, sind Abwechslung, tiefere Auswahl und vor allem der Mut zum Neuem.
In englischsprachigen Buch-Communities wird von dieser Art von niedrigschwelligster Fantasy-Unterhaltung mittlerweile kritisch als „Slop“ gesprochen: Grauer, geschmackloser Einheitsbrei. Diskussionen über „Slop“, immer gleiche Muster besonders in der Romantasy und den Hang Profit aus „Vibes“ zu schlagen, aus „Aesthetics“ und vor allem aus beliebten Tropes, statt interessante, handwerklich solide Inhalte zu liefern, laufen auch hier. Als deutschsprachige Leserin muss ich dabei jedoch immer ein wenig lächeln, denn wenn wir ehrlich sind, ist das exakt, wie der deutsche Buchmarkt seit einigen Jahren nicht nur nischenweise funktioniert, sondern zum allergrößten Teil: „Slop“ in der Romantasy, im New Adult, aber auch im Krimi mit immergleichen Nordsee- und Skandinavien-Thrillern, oder im historischen Roman mit der Familiensaga nach dem Malen-nach-Zahlen-Prinzip, bei dem die Farben zwar andere sind, die Muster aber immer identisch.
Handwerkliches Können, komplexe Plots, interessante Figuren, Recherche und einiges mehr sind längst zurückgetreten hinter rigiden Ideen davon, was sich verkauft und deshalb immer gleich sein muss. Antiintellektuelle Takes dazu, dass Unterhaltungsliteratur ihre Lesenden bloß nicht zu sehr fordern oder gar politisch sein sollte, findet man überall. Wo kämen wir auch hin, wenn Lesende aus der Literatur, die sie konsumieren, am Ende mehr mitnehmen würden als reine Vibes oder „große Gefühle“? Natürlich lese ich auch gern mal einen Romantasyroman, der nicht mehr tut als mich zu unterhalten – Aber schon seit einigen Jahren fehlt mir der Ausgleich. Die deutschsprachige New Adult, Romantasy, Familiensaga ist wie Popcorn: Hin und wieder lecker, aber zu viel davon verklebt alles, bis hin zum berüchtigten „Brain Rot“. Und dann entsteht ein Hunger nach mehr, nach etwas Gehaltvollerem. Und das bietet der deutsche Buchmarkt in den einschlägigen Genres nur selten. Danach suchen wir auf dem englischsprachigen Markt.
Nicht nur ist der deutschsprachige Markt viel zu vorsichtig, was seine im Original deutschsprachigen Titel angeht: Diese Vorsicht, dieser Unwille aus den bekannten Mustern zu treten und etwas Anderes, Neues zu probieren, zeichnet sich auch immer wieder darin ab, wie der Markt die tatsächlichen Trends aus internationalen Buchwelten verkennt. Becky Albertallis queerer Bestseller „Love, Simon“ war als „Simon vs. the Homo Sapien Agenda” bereits 2015 ein riesiger Hit auf den englischsprachigen Märkten. Nach Deutschland kam der Roman erst Ende 2016 sehr verhalten als „Nur drei Worte“. Erst 2018 überraschte die große Hollywood-Verfilmung den deutschen Markt, der reagierte und die Taschenbuchausgabe als „Love, Simon“ hastig hinterherschob und vermarktete.
Mit M.L. Rios Dark-Academia-Hit „If We Were Villains” (2017) verlief es ähnlich: In englischen Kreisen sofort ein „Cult Classic“, lieferte der deutsche Buchmarkt uns den Roman zwar schon 2017 als unscheinbare Midlist-Taschenbuchveröffentlichung unter dem Titel „Das verborgene Spiel“, erkannte aber erst 2023 die Durchschlagkraft von Rios Debüt und reichte eine neue Ausgabe unter Originaltitel nach, absurderweise vermarktet, als handele es sich um die erste deutsche Ausgabe. Andere Lieblinge von englischsprachigen Buch-Communities – in denen über Social-Media-Portale wie TikTok, Instagram, Youtube und Tumblr natürlich auch deutschsprachige Lesende mitmischen – gibt es in deutscher Übersetzung schlicht und ergreifend gar nicht. Was diese Titel angeht, ist der Griff zum englischsprachigen Original die einzige Möglichkeit, den Titel überhaupt zu lesen.
Aber vor allem abseits der großen BookTok-Hits sieht es auf dem deutschsprachigen Markt leider einfach trist aus. Obwohl Themen wie Vielfalt, Diversity und Repräsentation, politische Literatur und dergleichen mehr mittlerweile auch bei uns zum Thema geworden sind, sind Romane, die sich mit ihnen beschäftigen, interessanterweise vor allem im Unterhaltungsroman noch rar gesät. Viele der Titel, die ich lese, gibt es in deutscher Übersetzung zum Beispiel gar nicht und nach deutschsprachigen Äquivalenten muss man lange suchen, wenn man überhaupt fündig wird. Romane wie Rebecca F. Kuangs Satire auf den Buchmarkt „Yellowface“ oder ihr historisches Fantasyepos „Babel“, wie Grace D. Lis antikolonialistischer Gaunerroman „Portrait of a Thief“ oder Ally Wilkes historischer Abenteuer-Horror „All the White Spaces“, über einen trans Mann, der an einer zum Scheitern verurteilten Antarktisexpedition teilnimmt, sind aus deutschsprachiger Feder leider nach wie vor seltenes Gut.
Was würde ich nicht geben für komplexe Dark Academia im sehr speziellen Kontext deutscher Universitäten? Für antikolonialistische Fantasy, die den Blick gezielt auf Deutschlands koloniale Vergangenheit richtet? Für Unterhaltungsromane, die nicht so viel Angst davor haben, politisch zu sein, oder zum Nachdenken anzuregen oder nicht in die mittlerweile sehr rigide Schublade zu passen, in der Tropes, Vibes und Aesthetics mehr zählen als komplexe Inhalte und handwerkliches Können? Die Antwort auf die Frage, weshalb so viele von uns eher auf Englisch lesen, ist meiner Meinung nach demnach sehr einfach: Wir sind müde, lieber Buchmarkt. Müde vom immer gleichen „Slop“, der sich nichts traut, müde interessante Titel nur auf Englisch erhältlich zu sehen, müde, dass der kreative, vielschichtige Unterhaltungsroman mittlerweile zur Seltenheit geworden ist, die man lange suchen muss.
Der Buchmarkt hatte schon immer die prekäre Aufgabe, seine wirtschaftlichen Interessen mit seiner Rolle als Kulturvermittler zu vereinen. In den 2020er Jahren zeichnet sich jedoch ein deutlicher Trend ab, bei dem die Wirtschaft, der Profit, sehr viel größer geschrieben wird als der Teil mit der Kulturvermittlung. Natürlich muss ein Buchmarkt auch niedrigschwellige Unterhaltung liefern, Bücher für „nur mal so nebenbei“, Popcorn für die Sinne. Aber wenn das alles ist, was die deutschsprachige Unterhaltungsliteratur 2025 zu bieten hat, dann sollte sich niemand mehr wundern, weshalb immer mehr Lesende sich anderweitig umsehen und dem deutschsprachigen Markt in einigen Fällen sogar komplett den Rücken kehren. Wir lesen nicht auf Englisch, weil uns deutschsprachige Bücher ihren Preis nicht wert sind, oder weil wir uns mit unseren Englischkünsten profilieren wollen. Wir lesen auf Englisch, weil der deutschsprachige Buchmarkt uns das, was wir lesen möchten, schon lange nicht mehr anbietet. In diesem Sinne: So long, and thanks for all the fish.

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