Saku
Die Geschichte des historischen Liebesromans, wie wir ihn heute definieren, ist relativ jung – namentlich ist sie eine Geschichte des 20. Jahrhunderts (Pamela Regis: „A Natural History of the Romance Novel“, 2003). Doch von Beginn des Genres an war die englische Regency-Ära ein beliebtes Setting.
Was ist diese Regency eigentlich?
„Regency“ bezeichnet hier die Regentschaft des englischen Prinzen George IV, welcher für seinen schwerkranken Vater George III bis zu dessen Tod die Regierungsgeschäfte übernahm, um dann selbst zum König gekrönt zu werden – im kontinentaleuropäischen Kontext kann man von der Epoche als „Empire“ reden. Die Regency-Ära selbst dauerte nur einige Jahre, 1811-1814.
Umgangssprachlich bezeichnet man als die Regency jedoch eine relativ lange Epoche von ca. 1790-1837, als Queen Victoria den Thron von George IVs Nachfolger und jüngerem Bruder William IV erbte. Diese Ausweitung findet statt, weil für viele Jahre vor und nach der Regency die gleiche Auf- und Umbruchsstimmung und dieselben gesellschaftlichen Muster und Trends herrschten, wie man sie im Allgemeinen mit der Regency (im Kontrast zum vorhergehenden und überlappenden georgianischen und dem anschließenden viktorianischen Zeitalter) verbindet.
Die georgianische Ära erfuhr ab den 1890er Jahren jedoch ein Revival: Durch die voranschreitende industrielle Revolution, die Technologie, die sich immer schneller entwickelte, und die Städte, die immer schneller wuchsen, entstand eine verklärt-nostalgische Sicht auf die Regency, nicht ungleich der Verklärung, die heutzutage beispielsweise die 50er erfahren: Diese Ära wurde als letzte unschuldige Zeit gesehen. Maler aus ganz Europa wie Vittorio Reggianini, Frederik Hendrik Kaemmerer oder Edmund Blair Leighton malten pittoreske, lichtdurchflutete Szenen von Damen und Herren der Regency bzw. des Empire und des Rokoko und ab den 1910er Jahren gab es auch wieder Moden, die von der Regency inspiriert waren.
Entsprechend ist kein Zufall, dass der Autor Jeffery Farnol mit „The Amateur Gentleman“ im Jahr 1913 eine Regency Romance veröffentlichte – ja, obwohl heute die große Mehrzahl der Autor*innen und auch Leser*innen historischer Liebesromane weiblich sind, ist einer der wegweisenden Mitbegründer des Genres ein Mann. Der Roman wurde ein Bestseller.
Kurz darauf fand der Erste Weltkrieg statt, der ein Bedürfnis nach romantischen, eskapistischen historischen Romanen in der Bevölkerung weckte.
Auftritt Georgette Heyer
Gerade erst 19 Jahre alt, veröffentlichte Georgette Heyer im Jahr 1921 „The Black Moth“, einen Liebes- und Abenteuerroman, der im Jahr 1751 spielt und sofort zum Bestseller wurde. Es ist gut möglich, dass „The Broad Highway“ sie inspiriert hat. Heyer schrieb noch mehrere kommerziell sehr erfolgreiche Liebes- und Abenteuerromane, die im 18. Jahrhundert spielen, aber auch zu vielen anderen Zeiten, ehe sie im Jahr 1935 veröffentlichte, was schlussendlich ein ganzes Genre prägte: „Regency Buck“, das, wie der Titel schon sagt, während der Regency spielt. Wie viele von Heyers Romanen wurde es ein Bestseller.
Das kam nicht von ungefähr: Georgette Heyer entwickelte ein unglaubliches Interesse für die Regency, recherchierte in diesem Zeitalter weit vor dem Internet mühselig die Geschichte der Regency in all ihren Aspekten, die damaligen Gepflogenheiten und Ansichtsweisen (wenn ihre Hauptcharaktere diese auch nicht immer widerspiegeln), sogar spezifische sprachliche Ausdrücke, die sich bis heute im Genre bemerkbar machen. Besonders mit Primärquellen wie Tagebüchern und Briefen aus der Regency beschäftigte sie sich sehr stark.
Das Setting dient in ihren Romanen nicht nur als „Bühne“, sondern ist lebendig in den Konflikt und das alltägliche Leben der Charaktere eingebunden. Nicht umsonst sagt man Heyers Büchern nach, sie wären das nächstbeste direkt danach, Jane Austen selbst zu lesen, so authentisch fühlen sie sich an. Ähnlich wie Austen, beschäftigte sich auch Heyer in ihren Romanen vor allem mit der Gentry, also dem britischen Landadel, und dem gehobenen Bürgertum, jedoch auch mit der Peerage, dem Hochadel, was ebenfalls prägend für das Genre sein sollte.
Heyer veröffentlichte insgesamt 26 Regency-Romane, die sich im Allgemeinen großer Beliebtheit erfreuten. Sie war die Begründerin nicht nur des Genres an sich, sondern auch vieler beliebter Plotlines und Tropes, die sich noch heute finden. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es heute keine Autor*innen von Regency Romance gibt, die nicht direkt oder indirekt von Heyer beeinflusst worden sind.
Epigonen und Plagiate
Im Anbetracht von Heyers großem kommerziellem Erfolg konnte es nicht ausbleiben, dass bald viele weitere Autor*innen vor allem weiblichen Geschlechts sich von ihr inspirieren ließen und ihrerseits historische und spezifisch Regency Romances schrieben.
Eine soll hier besonders erwähnt werden, nämlich Barbara Cartland, welche bereits eine etablierte Liebesromanautorin war, als sie 1946 ihren ersten historischen Liebesroman, „The Hidden Heart“, veröffentlichte (Ihre erste Regency Romance, „A Hazard of Hearts“, folgte einige Jahre später, 1949). Tatsächlich veröffentlichte sie später auch editierte Ausgaben von Jeffery Farnols Büchern „The Broad Highway“ und „The Amateur Gentleman“, wir wissen also, dass er sie beeinflusst haben muss.
Cartland, die auf den Rückentexten ihrer Bücher als „Prinzessin Dianas Stiefgroßmutter“ bezeichnet wird, war eine so schillernde wie bizarre Persönlichkeit. Fast immer in verschiedene Rosatöne gekleidet, schrieb sie unglaubliche 728 Romane – viele davon Regency Romances – und hält den Rekord für die meisten in einem Jahr verfassten Bücher: 1976 allein verfasste sie 23 Romane.
Dass dabei die Originalität gelitten hat, liegt auf der Hand, jedoch ging Cartland weiter als bloße Inspiration. Im Jahr 1950 wurde Georgette Heyer darauf aufmerksam gemacht, dass einige Phrasen in Cartlands Büchern – unter anderem „Knave of Hearts“ und seine Fortsetzung „A Duel of Hearts“ (ebenfalls 1949) – welchen in ihren eigenen verdächtig glichen, und es entsponn sich ein heftiger Streit. Dieser ging nie vor Gericht, doch Heyer denunzierte für lange Jahre Cartlands Person und Werk, bezeichnete sie u.a. als „vulgäre Kopistin“ und schien sich insgesamt deutlich mehr darüber zu ärgern, dass sie von einer recherchetechnisch nachlässigen Autorin, die sie nicht respektieren konnte, plagiiert worden war, als dass sie überhaupt plagiiert worden war (Jennifer Kloester, „Georgette Heyer: Biography of a Bestseller“, 2011).
Die Schattenseiten der Romantik
Leider ist es allerdings so, dass einen auch exzellente Recherche und genuine Liebe zur Regency wie Georgette Heyers nicht vor Unmenschlichkeit schützen. Nur weil sie sehr viel „richtig gemacht“ hat in ihren Romanen, ist es nicht so, als wären diese ein exaktes Abbild der Regency-Ära, sondern es fließen viele ihrer Ansichten des frühen 20. Jahrhunderts mit in die Texte – auf die schlimmste Weise: Heyer war eine rasende Antisemitin, die in vielen ihrer Werke bösartige, karikaturartig übertriebene jüdische Charaktere hat auftreten lassen.
Während es zwar stimmt, dass jüdische Menschen während der Regency weniger Rechte hatten als Christ*innen und so z.B. nicht wählen durften, konnten sie doch sozial ebenso aufsteigen und wurden im Allgemeinen auch von ihren Standesgenoss*innen respektiert. (Todd M. Endelman: „The Jews of Georgian England, 1714-1830: Tradition and Change in a Liberal Society“, 1999) Die bekannte und beliebte Autorin Maria Edgeworth (Jane Austen war ein großer Fan von ihr) veröffentlichte 1817 den Roman „Harrington“, der spezifisch gegen Antisemitismus geschrieben worden ist. Sir Francis Henry Goldsmid ist ein prominentes Beispiel für einen respektablen jüdischen Mann des gehobenen Bürgertums, der sich auch stark für die Rechte jüdischer Menschen einsetzte. Judith Montefiore schrieb, wenn auch erst nach Ende der langen Regency, inspiriert von ihren extensiven Reisen das erste jüdische Kochbuch in englischer Sprache. Der Sohn des Historikers und Autors Isaac D’Israeli, Benjamin, wurde später im 19. Jahrhundert sogar Premierminister und erhielt von Queen Victoria den Titel eines Earls.
Felicia Grossman, selbst jüdische Autorin historischer Liebesromane, die generell auch jüdische Charaktere darstellen, schreibt in einem Gastartikel für Romance Daily News über Heyers Roman „The Grand Sophy“, der 1950 entstand, also nach dem Holocaust und selbst nach den Nürnberger Prozessen: „Heyer schuf absichtlich ein verzerrtes Bild, das nur dazu da war, ein Volk zu verletzen, das gerade eben erst beinahe ausgelöscht worden war. Millionen von Männern, Frauen und Kindern sind ermordet worden und Heyers Reaktion war, den Hass in ihrem Buch noch zu verstärken“ (Felicia Grossman:„Georgette Heyer was an Antisemite and Her Work is Not Foundational Historical Romance“, 2020, eigene Übersetzung).
Auch das Argument „Sie war gar nicht wirklich Antisemitin, sie wollte ja nur die Regency authentisch darstellen!“ zieht also nicht, und noch dazu hat sich Heyer hierbei derart von ihrem Hass verblenden lassen, dass sie (bewusst oder unbewusst) ihre gute Recherche hat schleifen lassen. So beschreibt sie Juden etwa mit langen Schläfenlocken, obwohl die meisten Juden zur Regency keine getragen haben. Zudem berichtet auch ihre Biografin Jennifer Kloester, dass Heyer in ihren privaten Korrespondenzen ebenfalls stark antisemitische Tendenzen zeigte (Jennifer Kloester, „Georgette Heyer: Biography of a Bestseller“, 2011).
Rassismus und Imperialismus
Und auch Barbara Cartland hat sich in dieser Hinsicht nicht mit Ruhm bekleckert. Vielleicht ist es nicht überraschend, dass eine Frau mit so einer klaren Verbindung zur britischen Oberschicht in ihren Büchern den britischem Imperialismus feierte. Während auch jüdische Charaktere vielfach nur als bösartige Stereotypen in ihren Büchern erscheinen, kann man ihr immerhin zugute halten, dass sie gegen BIPoC keinen Hass gehegt zu haben schien.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht rassistisch war. Besonders für chinesische, indische und Roma-Charaktere zeigt Cartland in ihren Romanen eine Art wohlwollender Herablassung. Durchweg werden BIPoC dem Othering und der Exotisierung unterworfen. Die britische Herrschaft über Indien, Hongkong und die anderen Kolonien wird als etwas Positives, ja Nostalgisches präsentiert. Östliche Religionen werden ohne Bedenken für ihre weißen Protagonist*innen verwurstet: In „Diona and a Dalmatian“ (1983) kann sich die Protagonistin, deren Eltern als Missionar*innen im Fernen Osten unterwegs waren, aufgrund von deren Interesse für Buddhismus mit einem Mal telepathisch mit ihrem Hund Sirius unterhalten. (Cartlands Bücher sind teilweise unerwartet bizarr, was sie auf ihre Weise unterhaltsam macht.)
Auch Jeffery Farnol stellt in seinen Werken jüdische Charaktere durchweg als geizig und unattraktiv dar und britische Kolonialherren als besser denn ihre BIPoC Subjekte. Britischer Imperialismus wird auch von ihm romantisiert.
Der Wermutstropfen im Zucker
So prägend Farnol, Cartland und besonders Heyer auch für das Regency Romance Genre waren, darf man nicht vergessen, dass sie Ansichten hatten, die wir heutzutage als Gesellschaft ablehnen. Dies muss natürlich im Kontext ihrer Zeit betrachtet, darf aber niemals verschwiegen oder schöngeredet werden – zumal gerade der dargestellte Antisemitismus vielmehr die Ansichten des 20. Jahrhunderts widerspiegelt als die des späten 18. und frühen 19. Und schon Jane Austen selbst hat mit „Mansfield Park“ (1814) einen Roman verfasst, der Sklaverei anprangert, auch das war also „damals“ nicht einfach „so“. („Mansfield Park: Slavery, Colonialism, and Gender“. Moira Ferguson, Oxford Literary Review Vol. 13, No. 1/2, Neocolonialism, 1991, pp. 118-139)
Der US-Verlag Sourcebooks brachte 2023 eine Ausgabe von Heyers Roman „The Grand Sophy“ in überarbeiteter Sprache heraus: Sämtliche antisemitischen Passagen und Ausdrücke wurden gestrichen oder abgeändert sowie der Name eines antagonistischen Charakters, der diesen als Juden auswies, geändert. Das Modernisieren älterer Literatur ist kontrovers, aber ich sage: Gut so. Der Roman hätte so, wie er war, nie veröffentlicht werden dürfen. Jetzt ist er ein modernisierter Roman für ein modernes Publikum, den man lesen, dessen Recherche man bewundern und über den man lachen kann, ohne im nächsten Moment auf Entsetzliches stoßen zu müssen.
Die Geschichte des Regency Romance Genres ist eine faszinierende und facettenreiche, aber bei allem Spaß, bei aller Romantik, bei allen schillernden Bällen, raschelnden Seidenkleidern und blitzenden Schwertklingen, dürfen wir doch nicht vergessen, dass seine Begründer einige von uns als weniger wertvoll wahrgenommen haben als andere. Das Genre hat seine harte Vergangenheit mittlerweile größtenteils aufgearbeitet, doch zu Aufarbeitung zählt immer auch Erinnerung. Es kann allerdings lohnend sein, sich auf seine Wurzeln zu berufen – vor allem, wenn man dabei nicht auf problematische Inhalte stoßen muss.
Leseempfehlungen
„Hustlers, Harlots, and Heroes“ von Krista D. Ball, 2014: Ein sehr zugänglich geschriebenes Sachbuch, das sich mit dem „einfachen Volk“, den „armen Leuten“ und einigen weiteren marginalisierten Gruppen des 18. und 19. Jahrhunderts in London befasst.
„Meet the Georgians“ von Robert Peal, 2021: Zwölf kurze Biografien interessanter, teils auch marginalisierter Individuen, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert in verschiedenen Ländern lebten.

Schreibe einen Kommentar