Kat Morris

Mit dem Serienstart der dritten Staffel von Netflixs Hit „Bridgerton“ (2020-), das sich zwischen Regency Romance und sehr modern umgesetzten Historiendrama bewegt, beginnt in vielen Online Spaces auch eine Debatte von neuem, die Fans historischer Stoffe schon seit einiger Zeit beschäftigt: Wie viel Diversity, also das Abbilden und Inkludieren marginalisierter Menschen, ist in historischen Stoffen eigentlich „historisch korrekt“?

Dieser Diskurs dreht sich nicht erst seit „Bridgerton“ im Kreis, läuft aber mit jeder neuen Staffel der beliebten Serie auf Hochtouren und vermengt nicht selten gefährliches Halbwissen darüber, wie „das damals halt war“ mit sehr modernen Ideen zum Leben als marginalisierte Person in der Vergangenheit.

Abseits von Klischees

Die Diskussion rund um einschränkende Ideen rund um die Problematik, was marginalisierte Menschen in der Vergangenheit überhaupt „durften“ und sein konnten, ist sicherlich eine lohnende. Ein Blick in historische Primärquellen und neue Forschungsergebnisse zu dem Thema eröffnet ganz neue Perspektiven darauf, was Geschichte, spezifisch marginalisierte Geschichte, abseits von Klischees und durch systematische Diskriminierung gefärbte Narrativen sein kann. Wer sich tatsächlich mit dieser Geschichte beschäftigt, vor allem auf der Mikroebene, wird schnell feststellen, dass es ein allgemeingültiges „Damals war das aber so!“ niemals geben kann und, dass Geschichte sehr viel flexibler und komplexer ist als das.

In Hinblick auf historische Stoffe und das Darstellen von historischer Identität in Unterhaltungsmedien wie „Bridgerton“ und Co. müssen wir uns vom Streben nach „historischer Korrektheit“ jedoch auch aus einem ganz anderen Grund lösen und uns die Frage stellen, ob Unterhaltungsmedien überhaupt den Anspruch haben – oder gar haben können – auch nur historisch authentisch zu sein. Fiktive historische Welten, auch, wenn reale Ereignisse oder Persönlichkeiten in ihnen vorkommen, bleiben immer fiktiv. Sie sind kreative Konstrukte wie etwas hätte sein können, niemals genau getreue Abbildungen, wie etwas tatsächlich war. Natürlich lohnt es sich trotzdem ein gewisses Level an historischer Authentizität anzustreben, jedoch muss uns bewusst bleiben, dass es keine „historische Korrektheit“ geben kann.

Historische Wahrheiten

Hier kann ein Blick auf Linda Hutcheons Konzept der „Historiografischen Metafiktion“ nicht schaden: Die Historiografische Metafiktion stellt in Frage, ob ein neutraler, objektiver Blick auf Geschichte überhaupt möglich ist, ob es die eine historische Wahrheit überhaupt gibt, oder ob es am Ende nicht dutzende Perspektiven auf dieselbe Geschichte geben muss, je nachdem wer erzählt: Geschichte wird von Menschen erzählt, ob es sich nun um Zeitzeug:innen handelt oder um Historiker:innen, und Menschen sind selten objektiv, denn ihre Perspektiven sind immer geprägt von den eigenen Lebenserfahrungen. Es gibt also keine eine historische Wahrheit, sondern ganz viele individuelle Wahrheiten, aus denen sich ein Gesamtbild zusammensetzt.

Die Historiografische Metafiktion ist sich dessen bewusst. Sie strebt deshalb nicht nach einer historischen „Korrektheit“, die gar nicht existieren kann, sondern konstruiert ihre eigene historische Authentizität. Sie stellt nicht fest: „Genau so war es!“ Sie stellt ein „So hätte es gewesen sein können“ in den Raum. Deshalb eignet sie sich hervorragend, um spezifisch unterdrückte Geschichte, zum Beispiel die Geschichte marginalisierter Menschen, deren Perspektiven oft nicht so zahlreich überliefert sind wie die nicht-marginalisierter Menschen, sichtbar zu machen und Klischees und Erwartungen an das Genre zu subvertieren. Historische Fiktion sollte nicht danach streben, die eine historische Wahrheit darzustellen. Sie sollte ihren modernen Konsument:innen den Raum geben, hinter die „So war das halt“s und „Das weiß man doch“s zu blicken.

Natürlich stellen Serien wie „Bridgerton“ eine fiktive, nicht reale historische Welt in den Fokus. „Bridgerton“ geht einen Schritt weiter und platziert sich sehr bewusst selbst in einem alternativen 1813, in dem die Geschichte ein wenig anders verlaufen ist als in Wirklichkeit. Trotzdem erlauben Serien wie „Bridgerton“ einen Blick hinter verstaubte Klischees und weit verbreitete Ideen dessen, was „früher so war“ und was keinesfalls hätte passieren können.

Denn in „Bridgertons“ Konzept steckt, wie so oft bei historischer Fiktion, ein wichtiger Kern Wahrheit: Ja, es gab Adelige of colour im Großbritannien dieser Epoche. Wenn „Bridgerton“ in den Köpfen der Zuschauenden eine Tür öffnet, einen Blick hinter „Sowas wäre in echt gar nicht gegangen!“ zulässt und zu den realen Menschen hinter der Regency-Fantasy, die zu oft unerwähnt bleiben und deren historische Realitäten noch längst nicht auserzählt sind, führt, dann hat „Bridgerton“ getan, was historische Fiktion tun sollte.


Quellen:

Hutcheon, Linda (1989). „Historiographic Metafiction Parody and the Intertextuality of History“. In: Intertextuality and Contemporary American Fiction. Ed. O’Donnell, P., and Robert Con Davis. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1989. 3-32.

Nünning, A. (1995). Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. LIR – Literatur, Imagination, Realität, Bd. 11

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