Saku
Als ich in den frühen 2000ern ein Teenager war und 95% meiner Freizeit in der öffentlichen Bücherei unserer kleinen Stadt verbracht habe, gab es dort einige Bücher mit LGBTQ+-Themen. Sie waren unter der Kategorie „Für junge Erwachsene“ irgendwo ganz unten hinten unter dem eleganten Label „schwul und lesbisch“ weggeräumt und sie waren auch deswegen leicht zu übersehen, weil es weniger waren, als man an zwei Händen abzählen kann.
Ich hatte spezifisch nach ihnen gesucht, weil ich zu diesem Zeitpunkt verstanden hatte, dass ich queer bin und über junge Menschen lesen wollte, die waren wie ich. Die drei vorhandenen Bücher über sapphische Frauen, alle davon kontemporär für die 80er und 90er, aus denen sie stammten, handelten grob gesagt von Scham und Selbsthass, Drogen- und häuslichem Missbrauch, oft sehr holprigen Liebesbeziehungen und Selbstfindung und endeten damit, dass die Protagonistin am Christopher Street Day stolz ihre Regenbogenflagge schwenkte. Keins davon blieb mir als schön geschrieben oder besonders relatable in Erinnerung, ich fand alle Protagonistinnen langweilig bis furchtbar. Trotzdem habe ich diese Bücher mehrfach gelesen, denn sie waren alles, was ich an literarischer Repräsentation hatte.
Heldinnen und Waschlappen
Ein, zwei Jahre darauf, 2005, wurde Twilight ein Hit. Es folgte eine unaufhaltsame Lawine von Romantasy-Epigonen, deren Protagonistinnen, wie die des Originals, oft auffallend passiv-reaktiv waren. Eine Kontroverse entstand, u.a. darum, dass es für junge Mädchen plötzlich gar keine „starken“ Vorbilder mehr in Medien gab (Cox, 2010).
Die Rettung kam 2008 in Form von The Hunger Games, ein dystopischer Roman um eine fähige Actionheldin, Katniss (Eckerson, 2024). Auch hier gab es zahllose Epigonen und immer wieder musste betont werden, wie stark diese Heldinnen doch waren, was sie für starke weibliche Charaktere waren. Immer wieder wurde betont, was für tolle Vorbilder für unsere Mädchen sie abgaben, weil sie definitiv keinen Mann brauchten, um sie zu retten!
Nur, dass das leider nicht immer stimmte. Ein Waschlappen, dem man eine Lederjacke anzieht und eine Waffe in die Hand drückt, bleibt ein Waschlappen. Sehr oft waren diese als „stark“ und „gute Vorbilder“ deklarierten Heldinnen hilflos, weinerlich und auf keine Weise stärker als Bella Swan, außer dass sie zufällig, manchmal, angeblich kämpfen konnten (TV-Tropes, 2024). Die Bücher, deren Heldinnen sie waren, waren sehr oft auch eindeutig Cash Grabs. In dem Meer aus so genannten „starken Heldinnen“ gingen sie unter, denn alle Heldinnen waren stark. Haben Mädchen keine besseren Vorbilder verdient als diese Suppenhühner?
Queere Repräsentation
Die Parallele, die ich hier ziehen will, dürfte offensichtlich sein: In den frühen 2000ern war queere Repräsentation in Büchern recht spärlich verteilt, man musste sich mit dem zufrieden geben, was man hatte (Poole, 2014). Doch seither haben zahllose Aktivist*innen, spezifisch auch aus dem #OwnVoices Movement dafür gekämpft und gesorgt, dass es nicht mehr so mau aussieht (Duyvis, 2016). Menschen wie Corinne Duyvis ist es zu verdanken, dass ich heute in jeden Buchladen der Welt marschieren kann eine gute Auswahl an LGBTQ+-Rep von LGBTQ+-Autor*innen habe.
Das heißt im Umkehrschluss auch, dass sich Autor*innen heute mehr Mühe geben müssen. Einfach nur queere Repräsentation zu schreiben, reicht nicht mehr. So wie damals in bestimmten Genres jedes Buch einen starken weiblichen Hauptcharakter hatte, hat heute jedes LGBTQ+-Charaktere. Ich muss mich nicht mehr verzweifelt an alles klammern, was ein Fitzelchen sapphische – oder, Gott bewahre, asexuelle oder nonbinäre – Repräsentation hat, und sei es noch so erbärmlich, weil ich nicht mehr, wie damals in der Bücherei, sinnbildlich von allen Seiten von Bella Swans umzingelt bin.
Queere Menschen können es sich heute leisten, Ansprüche zu haben. Wir können es uns leisten, Bücher im allgemeinen und queere Rep darin im Besonderen als schlecht zu bezeichnen, Bücher abzubrechen und beiseite zu legen. Mehr noch: Es ist unsere Pflicht. Schlechte Repräsentation schadet uns allen (Green, 2019). Niemand von uns muss mehr Bücher hypen, einfach nur, weil sie queere Inhalte haben. Wir können anerkennen, dass das Label „Own Voices“ nichts über die Qualität sagt. Wir verdienen gute Geschichten.
Wir sind so weit gekommen. Von queeren Menschen zu verlangen, dass sie Bücher loben oder mit Kritik hinter dem Berg halten, einfach nur, weil diese Bücher LGBTQ+-Repräsentation haben, ist beleidigend – gegen uns queere Lesende, aber auch gegen die Leute, die uns hierher gebracht haben.
Quellen:
Cox, D. (2010). Twilight: the franchise that ate feminism. URL: https://www.theguardian.com/film/filmblog/2010/jul/12/twilight-eclipse-feminism
Eckerson, G. (2024). Strong female Protagonists in modern fiction films. URL: https://cunyonline.digication.com/gary_eckerson_strong_female_protagonists_in_modern_science_fiction_films/Katniss_Everdeen_in_The_Hunger_Games
TV-Tropes (2024). Faux Action Girl. URL: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/FauxActionGirl
Poole, J. (2014). Queer Representations of Gay Males and Masculinities in the Media. Sexuality & Culture 18(2). URL: https://www.researchgate.net/publication/257771249_Queer_Representations_of_Gay_Males_and_Masculinities_in_the_Media
Duyvis, C. (2016). The Importance Of #OwnVoices: An Interview With Corinne Duyvis. URL: http://www.onceuponabookcase.co.uk/2016/05/importance-ownvoices-interview-corinne-duyvis.html
Green, H. H. (2019). Why Are So Many Bisexuals On TV Also Sociopaths? URL: https://www.buzzfeednews.com/article/hannahharrisgreen/killing-eve-villanelle-sandra-oh-jodi-comer-bisexual

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